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Schaut man eine Aufführung im Theater an – Oper, Schauspiel, Tanz –, sieht man nur den kleineren Teil der Menschen, die daran beteiligt sind – nicht die Mitarbeiter hinter der Bühne, die eine solche Produktion mit unsichtbaren Kräften ermöglichen. Mechthild Blum stellt einige von ihnen in der Serie „Hinter der Bühne“ vor. Heute fragt sie: Was macht eigentlich ein Sprachcoach?
Sprachcoaching am Theater? Braucht man das denn? Wer auf der Bühne steht, hat doch eine professionelle Ausbildung hinter sich, also auch das Sprechen gelernt, oder? „Ach“, sagt Dorothea Gädeke zögernd, lehnt sich auf der Bank in der Loungeecke des Freiburger Theatercafés zurück. Und dann: „Ja, auf der Schauspielschule lernt man das schon. Früher allerdings wurde auf die Aussprache sehr viel mehr Wert gelegt als heute.“ Aber darum geht es wohl sowieso nicht beim Sprachcoaching am Theater. Gädeke hat meistens ganz andere Aufgaben.
Ihre genaue Aufzählung beginnt mit den vielen Opernsängerinnen und -sängern, die nicht deutschsprachig sind, in einer Aufführung aber Deutsch sprechen oder singen müssen. „Nein“, sagt die Frau mit dem kastanienbrauen Haar und den großen Augen und lacht, „ich gebe keinen Sprachunterricht in Deutsch. Ein bisschen höchstens. Es kommt darauf an ihnen zu helfen, den Text vernehmlich auszusprechen und bei der musikalischen Akzentsetzung die Silben auf den passenden Ton zu singen.“ Das ist, wie man sich leicht vorstellen kann, für nicht Deutsch sprechende, gar nicht einfach. Da ist auch eine ziemlich genaue Kenntnis der menschlichen Physis nötig um einen Weg zu finden, damit die gewünschte Artikulation zustande kommt. Ein Umlaut wie „ü“ wird da schnell zur Herausforderung, genauso die nicht ohne Weiteres zu erkennenden langen Laute, zum Beispiel in „Bad“, das eben nicht „Bahd“ oder „Baad“ geschrieben wird, sondern genauso wie „hat“, wo das „a“ aber kurz gesprochen wird. Sie selbst spricht Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch und sogar etwas Russisch.
„Die deutsche Sprache ist nicht gerade kehlkopf-freundlich. Bevor man da den richtigen Ton produzieren kann, muss man ein gewisses Quantum an Körperarbeit leisten“, sagt Gädeke. Dabei hilft es ihr sehr, solide Grundlagen in Anatomie, Physiologie und Audiologie erhalten zu haben, in einer sehr guten dreijährigen Ausbildung auf einer Expertenschule zur Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin mit dem Schwerpunkt Logopädie ausgebildet worden zu sein. Dafür hat sie sogar eine Kassenzulassung. Seit 2006 ist sie Stimmtherapeutin beim Freiburger Institut für Musikermedizin.
Sehr gern arbeitet sie mit Tänzerinnen und Tänzern, die heute auf der Bühne immer häufiger auch zu singen und zu sprechen haben. Und die, wie sie meint, einen sehr viel müheloseren Zugang zu Klang und Abstraktion, zum „Klang-in-den-Körper-setzen“ haben, als manch andere. Die es zu schätzen wissen, dass sie den Klang mit Gädeke ganz exakt an der Anatomie und Physiologie des menschlichen Körpers entlang entfalten können.
Sehr hilfreich ist es da für sie, auf der Ecole de Théâtre in Paris Unterricht in Körper-und Bewegungstheater beim berühmten Theaterpädagogen Jacques Lecoq genossen zu haben. Lecoq hatte seine Schauspielschule für Mimik und Theater nach seinem Lehraufenthalt – auf Einladung von Giorgio Strehler und Paolo Grassi – am Piccolo Teatro di Milano 1956 zeitgleich mit einer eigenen Theatergruppe gegründet.
Das macht neugierig. Und tatsächlich – in Kürze: Dorothea Gädeke hat selbst 25 Jahre lang an deutschen, schweizer und französischen Bühnen, im Film und zahlreichen TV Produktionen gespielt, in der Zeit vor ihrer Ausbildung bei Lecoq auch eine Schauspielausbildung an der Folkwangschule in Essen gemacht. Als Stimm-und Sprachcoach ist sie neben dem Theater Freiburg auch am Theater Kabawil/Düsseldorf, im Priesterseminar Freiburg und als Gastdozentin für die Hochschulen Stuttgart und Freiburg tätig. Sie hat mit Komponisten gearbeitet, war Vokalistin in Werken Neuer Musik, ist Sprecherin in Hörspielen und Features beim Rundfunk, von Hörbüchern, tourt auch mit einer eigenen Leseproduktion und singt seit vielen Jahren in verschiedenen Formationen.
Sie kennt also auch all die „energetischen Up’s and Down’s“, die Schwankungen im Selbstwertgefühl der Darstellenden. Sie weiß, was beim Arbeiten hilft, wenn man sich schlecht oder in einem Muster gefangen fühlt. Dieses Wissen wiederum kann sie auch gut bei Schauspielerinnen- und Schauspielern einsetzen, mit denen sie öfter ganz individuell arbeitet, sie auf Wunsch bei Bühnenproduktionen begleitet, um mit ihnen die Wechselwirkung von Bewegung, Haltung, Klang, Stimme und Sprache im Kontakt mit dem Raum zu erforschen, um ein stimmlich-sprachliches Selbstvertrauen zu gewinnen.
Sie hat keine Festanstellung im Theater und ist als freiberuflich Schaffende für viele andere Bühnen unterwegs, gibt Kurse für Logopädieschulen, in der Lehrerfortbildung, gibt Stimm-und Sprachcoaching für Musiklehrer, Mediziner und Menschen in weiteren Kommunikationsberufen, in Rhetorik und Präsenzcoaching für Unternehmen, für Callcenter, für Vorträge von Profis und Laien und hilft bei der Vorbereitung für Vorsprechen und Castings.
Für diesen Beruf gibt es keine vorgeschriebene Ausbildung. Wer ihn ergreifen will, hat eine ganze Reihe von Optionen. Dorothea Gädekes Weg ist einer davon. Und wahrscheinlich kann sie auch auf diesem Gebiet coachen.